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fassen auf meinen unseligen Zustand bezogen, so lenkte
es Gott durch einen Umstand so, daß mir auf einmal
klar wurde: „Ey, der Heiland hat ja Sein Blut für
mich Vergossen, und hat sich um meinetwillen Wunden
schlagen lassen!“ Dies brachte mich wieder zurecht-
und ich wurde so himmlisch vergnügt, daß ich es nicht
in Worten aussprechen kann. Nun konnte ich glau-
ben, daß mich der Heiland als eine arme Sünderin
zu Gnaden angenommen habe. Viele von den Er-
weckten, die mit der Brüdergemeine in Verbindung
standen, hatten mich bey dem erwähnten Kirchenbe-
such kennen gelernt. Diese kamen jetzt, mich zu be-
suchen; und da ich ihnen meine Verlegenheit schilderte-
so richteten sie mich durch Mittheilung ihrer Erfahrun-
gen auf, und wiesen mich mit allem, was mich druckte-
zum Heiland. Ich konnte nun im Umgang mit den
Geschwistern meinen Gang in Einfalt und Kindlichkeit
gehen. Da ich sehr zum vielen Denken geneigt war,
so regten sich wol noch oft Zweifel bey mir; aber
wenn es meine Geschäfte zuließen, so ging ich in die
Stille; oft suchte ich mir im untersten Keller einen
Winkel und legte mich auf mein Angesicht, weinte und
betete, und da bekannte sich der treue Heiland sehr
gnädig zu mir, und schenkte mir Seinen Trost und
Frieden ins Herz. Ich wünschte, aus meinen vielen
Geschäften zu kommen, indem ich mich nach Ruhe
feynte; aber meine Herrschaft, die mich sehr liebte,
war nicht zu meiner Entlassung zu bewegen. Sie ver-
sprach- mir im Umgang mit den Geschwistern alle mög-
liche Freiheit zu lassen, und verbot auch allen Dome-
stiken, mir das geringste in den Weg zu legen.
Endlich