.10267.26292
Unsre geliegte selige Schwester Henrietta Maria Louise von Hayn hat folgende eigenhändige
Nachricht von sich hinterlassen. "Die arme Sündern Louisel möchte lieber von ihrem Lebens-
lauf nichts sagen, (denn von auußen ist er auch nicht merckwürdig) sondern lieber weinen bey Jesu
Füßen. Aber ach, Er hat sich meiner Seelen doch gar zu herzlich angenommen, daß ich nicht davon
schweigen kan. Ich muß in Einfältigkeit des Herzens meinen allerliebsten Geschwistern die Geschichte
meiner Seele erzehlen. "Ich bin geboren den 22<hi rend="superscript">ten </hi>May 1724 in Idstein einem Städtgen im Naßau-
ischen. Mein Vater war Georg Heinrich von Hayn, Oberjägermeister in den Naßauischen Landen, gebür-
tig aus der Niederlausiz, wo mein Gros Vater seine Güter hatte. Meine Mutter war, Ernestina
von Lassberg aus Oettingen in Schwaben; ihr Vater war als ein Knabe von 7 Jahren mit seiner
Mutter um der Religion willen aus Oesterreich emigrirt, mit Verlassung ihrer Verwandten und
Güter. Ich armes und gewiß eins von den schlechlsten Wesen, war von meinen Heiland geliebt,
solang ich mich zurück besinnen kan. Ich hatte als ein kleines Kind oft so zärtliche Empfindungen
seiner Liebe, daß ich manchmal in ein Winkelgen ging und weinte und niemand wuste warum.
Das liebliche Gnadenwerck des heiligen Geistes mit meinem zwarten Herzen, ist mir die Stunde noch
neu. Bey Gelegenheit der ersten Gebetgen die ich lernte, als: Christi Blut und Gerechtigkeit pp Da
schmeckte und fühlte ich schon was von dem theuren kostbaren Blut und kriegte solche lebendige Ein-
drücke vom Marterlämmlein, die mir durch alle Zeiten durch geblieben sind. Einmal kam mir auf
wunderbare Weise ein Herrnhuthsches Lehrbüchlein für die Kinder in die Hände, das war recht nach
meinem gousto, ich küste das Büchlein oft wenn ich drinne las und trugs Tag und Nacht bey mir aus
Furcht es möchte mir weg genommen werden. Als ich größer wurde und unter beständiger Aufsicht
war, ging mein Dichten und Trachten immer dahin, mich ein wenig weg zustehlen, um an Jesum zu
dencken und zu Ihm zu beten; konnt ich am Tage nicht dazu gelangen, so stund ich in der Nacht
auf, wenn alles schlief und verbrachte manche Stunde auf meinen Knien, denn mein Herz brannte
recht in der Liebe zu Jesu. Wenn wir spazieren gingen, trug ichs manchmal darauf an, ein
wenig zurück zu bleiben, warf mich geschwind auf den Boden, als wollte ich Blumen suchen und
küste die Erde, weil ich mir ganz kindlich vorstellte, das sey das Pläzgen wo mein liebster
Jesus blutigen Schweiß geschwizt. In meinem 13<hi rend="superscript">ten</hi> Jahr ging ich zum erstenmal mit zum heiligen
Abendmahl in der lutherischen Kirche, in großer Hingenommenheit und Ehrfurcht vor dem hochwür-
digen Guth. Nach diesem fing man an nach Art der Welt, mich mehr in Gesellschaften mit
zu nehmen, und weil sonderlich manche verständige und angesehene Leute schön mit mir thaten und
sich um mich bewarben; so war das für mein Herz zum großen Schaden; ich suchte mich auch
gefällig zu machen und das gute Verständniß mit dem lieben Heiland hörte nach und nach auf: dagegen
fand sich eine Furcht und Scheu bey mir ein, daß ich mich nicht mehr so kindlich zu Ihm wenden konnte.
Meine Gedanken verklagten und entschuldigten sich untereinander und ich kam in Jammer und Noth über
das verlorne Wohlseyn in meiner Seele. Hundertmal fiel ich auf meine Knie und bat den Heiland
mit Thränen, Er sollte sich doch meiner wieder annehmen, ich könnte und wollte doch nichts als Ihn