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allein auf dieser Welt liebhaben, und hundertmal muste ich von neuem wieder gewahr werden<br />
 
allein auf dieser Welt liebhaben, und hundertmal muste ich von neuem wieder gewahr werden<br />
 
da&szlig; es doch nicht wahr sey und da&szlig; geschwinde wieder was anders meine unzuverl&auml;ssige Seele und<br />
 
da&szlig; es doch nicht wahr sey und da&szlig; geschwinde wieder was anders meine unzuverl&auml;ssige Seele und<br />
Gem&uuml;th einnehmen konnte. So ging ich etliche Jahre hin, in einem best&auml;ndingen Lamentiren<br />
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Gem&uuml;th einnehmen konnte. So ging ich etliche Jahre hin, in einem best&auml;ndigen Lamentiren<br />
&uuml;ber mich selbst und &uuml;ber die verlorene Vertraulichkeit mit dem Heiland und alles wurde mir zuwi-<br />
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&uuml;ber mich selbst und &uuml;ber die verlorene Vertraulichkeit mit dem <persname>Heiland </persname>und alles wurde mir zuwi-<br />
 
der, was sonst der Jugend in der Welt zum Vergn&uuml;gen dienen kann.<br />
 
der, was sonst der Jugend in der Welt zum Vergn&uuml;gen dienen kann.<br />
Um die Zeit kamen mir die berlinischen Reden in die H&auml;nde und waren mir zu gro&szlig;em Trost<br />
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Um die Zeit kamen mir die <placename><orgname>berlinischen </orgname></placename><orgname>Reden</orgname> in die H&auml;nde und waren mir zu gro&szlig;em Trost<br />
und Segen. Auch h&ouml;rte ich viel reden von einem gewi0en neuen Ort in der Wetterau, Herrnhaag<br />
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und Segen. Auch h&ouml;rte ich viel reden von einem gewi&szlig;en neuen Ort in der <placename>Wetterau</placename>, <placename>Herrnhaag</placename><br />
genannt, welchen die Herrnhuther anfingen zu erbauen und f&uuml;hlteeine unbeschreibliche Freude<br />
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genannt, welchen die <orgname>Herrnhuther </orgname>anfingen zu erbauen und f&uuml;hlte eine unbeschreibliche Freude<br />
dar&uuml;ber. Wiewol es die ver&auml;chtlichsten Beschreibungen waren, die man mir von der Gemeine<br />
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dar&uuml;ber. Wiewol es die ver&auml;chtlichsten Beschreibungen waren, die man mir von der <orgname>Gemeine</orgname><br />
 
machte; so glaubte ich immer das Gegentheil und f&uuml;hlte gar zu gut da&szlig; dieses <hi rend="underline">mein</hi> Volck<br />
 
machte; so glaubte ich immer das Gegentheil und f&uuml;hlte gar zu gut da&szlig; dieses <hi rend="underline">mein</hi> Volck<br />
 
w&auml;re, mit dem ich leben und sterben wollte, ob ich gleich noch nie keinen Bruder oder Schwester gesehen<br />
 
w&auml;re, mit dem ich leben und sterben wollte, ob ich gleich noch nie keinen Bruder oder Schwester gesehen<br />
 
hatte, und mein einziger Kummer war nur der: wie wird das m&ouml;glich seyn dahin zu gelangen?<br />
 
hatte, und mein einziger Kummer war nur der: wie wird das m&ouml;glich seyn dahin zu gelangen?<br />
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Inde&szlig;en lie&szlig; ich keine Gelegenheit vorbey gehen, da ich nicht meinen Elltern etwas &auml;u&szlig;erte,<br />
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von meinen Ideen &uuml;ber die neue Erscheinung des Reiches <persname>Gottes </persname>auf Erden und wie gro&szlig;<br />
 +
meine Neigung dahin sey: ich konnte aber genugsam abnehmen, da&szlig; nimmermehr an ihre<br />
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Einwilligung w&uuml;rde zu dencken seyn, mich zur <orgname>Gemeine </orgname>gehen zu la&szlig;en, ohne sie, die ich doch wie<br />
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mein Leben liebte, auf das &auml;u&szlig;erste zu betr&uuml;ben. Allein eines Tags, da ich fr&uuml;h nach Ge-<br />
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wohnheit meinen <persname>Vater </persname>aus dem neuen Testament vorlas, und zu den Worten des <persname>Heilands </persname>kam:<br />
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Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht werth: wurde ich so ger&uuml;hrt,<br />
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da&szlig; ich das Buch hinlegte, als ob ich was nothwendiges zu bestellen h&auml;tte, eilte in meine Stube<br />
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und schrieb einen Brief an meinen <persname>Vater </persname>&uuml;ber diese Worte, declarirte ihm zugleich auf die be-<br />
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weglichste und submissete Weise mit vielen Thr&auml;nen, da&szlig; ich den g&ouml;ttlichen Ruf in meinem<br />
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Herzen nun nicht l&auml;nger wiederstehen k&ouml;nne, ich w&uuml;rde unverz&uuml;glich mich aufmachen und fortgehen<br />
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nach <placename>Herrnhaag</placename>. Augenblicklich ging ich auch, ohne mich weiter nach etwas umzusehen fort, nahm<br />
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den Brief mit und schickte Ihn erst aus dem n&auml;chsten Dorf in meiner <persname>Elltern </persname>Haus zur&uuml;ck:<br />
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So k&uuml;hn und au&szlig;erordentlich nun dieses Unternehmen aussahe und so schwer es mir zu stehen kam,<br />
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(denn meine <persname>Elltern </persname>schickten mir sogleich nach und lie&szlig;en mich von <placename>Frankfurth</placename> aus zur&uuml;ck<br />
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holen) so war doch dieses das n&auml;chste Mittel gewe&szlig;en, mich los zu machen. Denn verst&auml;ndige<br />
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Leute gaben meinen <persname>Elltern </persname>den Rath, sie sollten mich nur auf eine kurze Zeit nach <placename>Herrnhaag</placename><br />
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schicken, es sey gar nicht zu zweifeln, ich w&uuml;rde dort meinen Irrthum bald selbst einsehen<br />
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und so auf immer davon curirt werden. Zufolge dieses guten Rahts, wurde ich in aller<br />
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Geschwindigkeit und auf das liebreichste auf einen Besuch nach <placename>Herrnhaag</placename> gebracht.<br />
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Der <date>5te November 1744</date> war der gl&uuml;ckselige Tag, da ich in <placename>Marienborn </placename>ankam, da ich die ersten<br />
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Geschwister sahe und da mich ein Friede <persname>Gottes </persname>umgab und ein Gef&uuml;hl des Gemein Geistes, das mir<br />
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noch immer neu ist, so oft ich daran dencke. Die<orgname> Pilger Gemeine </orgname>war just da, und der <persname>Heiland</persname><br />
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lie&szlig; mich Gnade finden bey allen Geschwistern und absonderlich bey dem lieben <persname>seligen J&uuml;nger</persname>, ob ich gleich<br />
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noch so fremd und unbekannt war. Ich hatte ein paar liebe <persname>Elltern </persname>verla&szlig;en, und hier war es als<br />
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h&auml;tte ich auf einmal hundert V&auml;ter und M&uuml;tter wiedergefunden, so f&uuml;hlte ich alle Geschwister Herzen<br />
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gegen mich Armes und mir wars wirklich wie einem Kinde das nun aus der Fremde in seiner<br />
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Mutter-Haus und bey den Seinigen angekommen war. Nachdem ich etliche Wochen recht mit<br />
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Gnade und Liebe &uuml;berf&uuml;ttert worden, in dem lieben Hause <placename>Marienborn </placename>und der allerliebste <persname>selige J&uuml;nger</persname><br />
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sich die M&uuml;he genommen hatten, selbst an meinen <persname>Vater </persname>zu schreiben und sich erboten mich wie<br />
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Ihr eignes Kind anzunehmen, kriegte ich Erlaubnis nach <placename>Herrnhaag </placename>ins <orgname>ledige Schwestern Haus</orgname> zu ziehen.<br />
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Da war ich nicht lange, so fing sich eine neue Gnaden-Arbeit des <persname>heiligen Geistes</persname> in meinem<br />
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Herzen an; ich war sehr einf&auml;ltig und grade mit allem was mir zu der Zeit klar wurde und<br />
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was ich zusammen bringen konnte mich selbst anzuklagen. Denn ich merckte da&szlig; mirs an der<br />
 +
wahren S&uuml;nderschafft fehlte und hatte Verlangen darnach. ich suchte mit vielen Thr&auml;nen Ver-<br />
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gebung durch sein Blut &uuml;ber alles, was mir in meinem Leben schlechtes vorgekommen war und<br />
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wurde auch derselben gar tr&ouml;stlich versichert; aber die wahre Selbsterkenntni&szlig; und die gr&uuml;nd-<br />
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liche Kur f&uuml;r Seele und H&uuml;tte, blieb mir noch auf eine andre Zeit aufgehoben. So wie<br />
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ich es jezt einsehe, wurde ich damals gleich ganz mitgenommen von dem Strom der Gnade<br />
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und hatte nicht Zeit recht zu mir selbst zu kommen. Es war aber der Periodus der Wunden-<br />
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Litaney und der Wundenlieder: wer es zu der Zeit mit erfahren, wird am besten wi&szlig;en, wie<br />
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gewaltig die Gnade war. Ich &uuml;bergehe alle die gro&szlig;en Schwierigkeiten, die es noch zwischen<br />
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mir und meinen <persname>Elltern </persname>gab, denn sie begehrten mich nach Verlauf eines halben Jahres wieder<br />
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zur&uuml;cke, und weil der <persname>selige J&uuml;nger</persname> selbst allerley unangenehme<del>s</del> <add>Folgen</add> bef&uuml;rchtete; so muste ich auf<br />
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seinen apparten Befehl endlich noch einmal nach Hause gehen, mit der gewissen Versicherung,<br />
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ich w&uuml;rde bald wiederkommen, welches auch geschah. Der <persname>Heiland </persname>half mir auf wundersame<br />
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Weise bald ganz los und brachte mich wieder fr&ouml;hlich und vergn&uuml;gt nach meinem lieben <placename>Herrnhaag </placename>zu-<br />
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r&uuml;cke. ich wurde darauf Anno <date>1746 den 30</date><hi rend="superscript"><date>ten</date></hi><date> Januar</date> zum erstenmal mit der <orgname>Gemeine </orgname>des <orgname>Leichnams<br />
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und Blutes unsers Herrn theilhaftig</orgname>, mit recht hungriger Seele, aber so bl&ouml;de, da&szlig; mir die<br />
 +
Gnade viel zu gro&szlig; deuchten wollte. In eben diesem Jahr kam ich ins <orgname>M&auml;dgenhaus</orgname>, zur<br />
 +
<orgname>Information der Kinder</orgname> und wohnte bey den <orgname>gro&szlig;en M&auml;dgen</orgname>, zog mit der <orgname>Anstalt</orgname> nach<br />
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<placename>Marienborn </placename>und Anno <date>1747 </date>wieder mit derselben nach <placename>Herrnhaag</placename>.<br />
 +
Von denen verschiedenen Perioden, die ich mit der lieben <placename><orgname>herrnhaagschen</orgname></placename><orgname> Gemeine</orgname> wie in einer best&auml;ndigen<br />
 +
Uebernommenheit durchpasirte, etwas specielles zu sagen, unterstehe ich mich nicht. so viel weis<br />
 +
ich, da&szlig; ich an meinem Theil oft m&auml;chtige Gnade f&uuml;hlte, aber ich hatte keinen S&uuml;ndergrund<br />
 +
die Gnade recht anzuwenden. Dem <persname>Heiland </persname>sey ewig Danck, der seine armen Sch&auml;flein,<br />
 +
mit lauter ueberwinder Liebe sobalde wieder auf die gesunde Weide seiner Wunden zu leiten<br />
 +
wuste, ohne Schaden und Verlust bey allen, deren Herz <hi rend="underline">Ihn</hi> bey alledem gemeint hatte!<br />
 +
Anno <date>1750 </date>verlor das <orgname>M&auml;dgenhaus </orgname>die liebe <persname>Justine von Schweiniz</persname>, die diese <orgname>Anstalt </orgname>einige

Latest revision as of 09:17, 3 March 2018

allein auf dieser Welt liebhaben, und hundertmal muste ich von neuem wieder gewahr werden
daß es doch nicht wahr sey und daß geschwinde wieder was anders meine unzuverlässige Seele und
Gemüth einnehmen konnte. So ging ich etliche Jahre hin, in einem beständigen Lamentiren
über mich selbst und über die verlorene Vertraulichkeit mit dem <persname>Heiland </persname>und alles wurde mir zuwi-
der, was sonst der Jugend in der Welt zum Vergnügen dienen kann.
Um die Zeit kamen mir die <placename><orgname>berlinischen </orgname></placename><orgname>Reden</orgname> in die Hände und waren mir zu großem Trost
und Segen. Auch hörte ich viel reden von einem gewißen neuen Ort in der <placename>Wetterau</placename>, <placename>Herrnhaag</placename>
genannt, welchen die <orgname>Herrnhuther </orgname>anfingen zu erbauen und fühlte eine unbeschreibliche Freude
darüber. Wiewol es die verächtlichsten Beschreibungen waren, die man mir von der <orgname>Gemeine</orgname>
machte; so glaubte ich immer das Gegentheil und fühlte gar zu gut daß dieses <hi rend="underline">mein</hi> Volck
wäre, mit dem ich leben und sterben wollte, ob ich gleich noch nie keinen Bruder oder Schwester gesehen
hatte, und mein einziger Kummer war nur der: wie wird das möglich seyn dahin zu gelangen?
Indeßen ließ ich keine Gelegenheit vorbey gehen, da ich nicht meinen Elltern etwas äußerte,
von meinen Ideen über die neue Erscheinung des Reiches <persname>Gottes </persname>auf Erden und wie groß
meine Neigung dahin sey: ich konnte aber genugsam abnehmen, daß nimmermehr an ihre
Einwilligung würde zu dencken seyn, mich zur <orgname>Gemeine </orgname>gehen zu laßen, ohne sie, die ich doch wie
mein Leben liebte, auf das äußerste zu betrüben. Allein eines Tags, da ich früh nach Ge-
wohnheit meinen <persname>Vater </persname>aus dem neuen Testament vorlas, und zu den Worten des <persname>Heilands </persname>kam:
Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht werth: wurde ich so gerührt,
daß ich das Buch hinlegte, als ob ich was nothwendiges zu bestellen hätte, eilte in meine Stube
und schrieb einen Brief an meinen <persname>Vater </persname>über diese Worte, declarirte ihm zugleich auf die be-
weglichste und submissete Weise mit vielen Thränen, daß ich den göttlichen Ruf in meinem
Herzen nun nicht länger wiederstehen könne, ich würde unverzüglich mich aufmachen und fortgehen
nach <placename>Herrnhaag</placename>. Augenblicklich ging ich auch, ohne mich weiter nach etwas umzusehen fort, nahm
den Brief mit und schickte Ihn erst aus dem nächsten Dorf in meiner <persname>Elltern </persname>Haus zurück:
So kühn und außerordentlich nun dieses Unternehmen aussahe und so schwer es mir zu stehen kam,
(denn meine <persname>Elltern </persname>schickten mir sogleich nach und ließen mich von <placename>Frankfurth</placename> aus zurück
holen) so war doch dieses das nächste Mittel geweßen, mich los zu machen. Denn verständige
Leute gaben meinen <persname>Elltern </persname>den Rath, sie sollten mich nur auf eine kurze Zeit nach <placename>Herrnhaag</placename>
schicken, es sey gar nicht zu zweifeln, ich würde dort meinen Irrthum bald selbst einsehen
und so auf immer davon curirt werden. Zufolge dieses guten Rahts, wurde ich in aller
Geschwindigkeit und auf das liebreichste auf einen Besuch nach <placename>Herrnhaag</placename> gebracht.
Der <date>5te November 1744</date> war der glückselige Tag, da ich in <placename>Marienborn </placename>ankam, da ich die ersten
Geschwister sahe und da mich ein Friede <persname>Gottes </persname>umgab und ein Gefühl des Gemein Geistes, das mir
noch immer neu ist, so oft ich daran dencke. Die<orgname> Pilger Gemeine </orgname>war just da, und der <persname>Heiland</persname>
[Seitenumbruch] [page break]
ließ mich Gnade finden bey allen Geschwistern und absonderlich bey dem lieben <persname>seligen Jünger</persname>, ob ich gleich
noch so fremd und unbekannt war. Ich hatte ein paar liebe <persname>Elltern </persname>verlaßen, und hier war es als
hätte ich auf einmal hundert Väter und Mütter wiedergefunden, so fühlte ich alle Geschwister Herzen
gegen mich Armes und mir wars wirklich wie einem Kinde das nun aus der Fremde in seiner
Mutter-Haus und bey den Seinigen angekommen war. Nachdem ich etliche Wochen recht mit
Gnade und Liebe überfüttert worden, in dem lieben Hause <placename>Marienborn </placename>und der allerliebste <persname>selige Jünger</persname>
sich die Mühe genommen hatten, selbst an meinen <persname>Vater </persname>zu schreiben und sich erboten mich wie
Ihr eignes Kind anzunehmen, kriegte ich Erlaubnis nach <placename>Herrnhaag </placename>ins <orgname>ledige Schwestern Haus</orgname> zu ziehen.
Da war ich nicht lange, so fing sich eine neue Gnaden-Arbeit des <persname>heiligen Geistes</persname> in meinem
Herzen an; ich war sehr einfältig und grade mit allem was mir zu der Zeit klar wurde und
was ich zusammen bringen konnte mich selbst anzuklagen. Denn ich merckte daß mirs an der
wahren Sünderschafft fehlte und hatte Verlangen darnach. ich suchte mit vielen Thränen Ver-
gebung durch sein Blut über alles, was mir in meinem Leben schlechtes vorgekommen war und
wurde auch derselben gar tröstlich versichert; aber die wahre Selbsterkenntniß und die gründ-
liche Kur für Seele und Hütte, blieb mir noch auf eine andre Zeit aufgehoben. So wie
ich es jezt einsehe, wurde ich damals gleich ganz mitgenommen von dem Strom der Gnade
und hatte nicht Zeit recht zu mir selbst zu kommen. Es war aber der Periodus der Wunden-
Litaney und der Wundenlieder: wer es zu der Zeit mit erfahren, wird am besten wißen, wie
gewaltig die Gnade war. Ich übergehe alle die großen Schwierigkeiten, die es noch zwischen
mir und meinen <persname>Elltern </persname>gab, denn sie begehrten mich nach Verlauf eines halben Jahres wieder
zurücke, und weil der <persname>selige Jünger</persname> selbst allerley unangenehmes <add>Folgen</add> befürchtete; so muste ich auf
seinen apparten Befehl endlich noch einmal nach Hause gehen, mit der gewissen Versicherung,
ich würde bald wiederkommen, welches auch geschah. Der <persname>Heiland </persname>half mir auf wundersame
Weise bald ganz los und brachte mich wieder fröhlich und vergnügt nach meinem lieben <placename>Herrnhaag </placename>zu-
rücke. ich wurde darauf Anno <date>1746 den 30</date><hi rend="superscript"><date>ten</date></hi><date> Januar</date> zum erstenmal mit der <orgname>Gemeine </orgname>des <orgname>Leichnams
und Blutes unsers Herrn theilhaftig</orgname>, mit recht hungriger Seele, aber so blöde, daß mir die
Gnade viel zu groß deuchten wollte. In eben diesem Jahr kam ich ins <orgname>Mädgenhaus</orgname>, zur
<orgname>Information der Kinder</orgname> und wohnte bey den <orgname>großen Mädgen</orgname>, zog mit der <orgname>Anstalt</orgname> nach
<placename>Marienborn </placename>und Anno <date>1747 </date>wieder mit derselben nach <placename>Herrnhaag</placename>.
Von denen verschiedenen Perioden, die ich mit der lieben <placename><orgname>herrnhaagschen</orgname></placename><orgname> Gemeine</orgname> wie in einer beständigen
Uebernommenheit durchpasirte, etwas specielles zu sagen, unterstehe ich mich nicht. so viel weis
ich, daß ich an meinem Theil oft mächtige Gnade fühlte, aber ich hatte keinen Sündergrund
die Gnade recht anzuwenden. Dem <persname>Heiland </persname>sey ewig Danck, der seine armen Schäflein,
mit lauter ueberwinder Liebe sobalde wieder auf die gesunde Weide seiner Wunden zu leiten
wuste, ohne Schaden und Verlust bey allen, deren Herz <hi rend="underline">Ihn</hi> bey alledem gemeint hatte!
Anno <date>1750 </date>verlor das <orgname>Mädgenhaus </orgname>die liebe <persname>Justine von Schweiniz</persname>, die diese <orgname>Anstalt </orgname>einige