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Jahre vorgestanden hatte, und ich kam an ihre Stelle, nachdem ich 1748 zur Acoluthie ange-
nommen und zu einer Diaconisse der Brüder Kirche war eingesegnet worden. In diesem Jahr 1750
emigrirten wir mit dem lieben Mädgenhauß nach der Oberlausiz. Unser erster Aufenthalt
war im Schloß zu Großhennersdorf, bis wir 1751 im Merz nach dem lieben Herrnhuth zogen, in
das selige Hauß, wo ich anbeten möchte so oft ichs betrete, in Erinnerung der unaus-
sprechlichen Segen, die mir da aufgehoben waren zu erfahren. Das Andencken von
tausend Sorgen und Kummer, den das mir anvertraute Amt bey der Menge Kinder mit
sich brachte, ist wirklich wie weggewischt aus meinem Gemüth. So viel weis ich nur noch,
was das für ein Leiden war, da so viele Kinder elend wurden, um des großen Zugs
willen, den wir im Hauße hatten p.
Der werthe Heilige Geist hatte in diesen und folgenden Jahren sein eignes Lustspiel unter
unsern lieben Kindern und bereitete unserm lieben Heiland ein mächtiges Lob, aus dem Munde dieser
Unmündigen. Doch das ist bekannt genug, und es bleibt mir nichts so eingedrückt, als ein
tief beschämendes Gefühl meiner Unzulänglichkeit, Mängel und Fehler, bey noch so gutem
Willen. Was aber zu der Zeit, unter diesen Lobgesängen, an der Seele seiner unwür-
digsten Magd geshah, das will ich einfältig erzehlen. Es war mir bey aller der Gnade
und Barmherzigkeit, die ich bis dahin erfahren und genoßen hatte, doch immer eine Sehnsucht
in dem innersten meines Herzens nach näherer Connexion mit dem Heiland übrig, und ich kam in
eine Traurigkeit die ich Anfangs gar nicht verstehen konnte, bis der liebe selige Jünger Anno 1757
anfing aparte Chor-Conferenzen mit einigen von uns zu halten, die der Heiland mir zu mei-
nem ewigen Glück gedeyhen ließ. Er redete, wie mirs vorkam, ungewöhnlich deutlich mit
uns von der Neu-Geburt des Herzens, von der Keuschmachung unsrer Seele, von der Noth-
wendigkeit mit dem Herrn Ein Geist zu werden und von der Heiligung ohne die niemand
sein Angesicht schauen kan. Dabey ging ein Licht in mir auf und ich sahe deutlich was mir
fehlte und was der liebe heilige Geist schon eine geraume Zeit mit meinem Herzen geredet
hatte. Nun ging ein neues Werck Gottes in mir an; ich kriegte meine Seele in der
rechten Gestalt zu sehen, der Fall wurde mir so zugeeignet, als ob ich wircklich in Person
mitgefallen wäre, und kriegte auf das Nachdrücklichste zu fühlen, wie Leib und Seel bis in
Tod verwundt und am ganzen Menschen nichts gesund war. Alle vorige Erfahrung vom
Heiland war mir wie ganz genommen und ich sahe mich wie am Rande des Todes voll Furcht
und Entsezen. Bis mir einmal in einer Nachtwache, deren ich zu der Zeit manche
hatte, der liebe Heilige Geist den bekümmerten Schöpfer vor mein Gemüth stellte, wie Er um
seine gefallene Kreatur kläglich that, ihren gräßlichen Tod bejammerte und auf einmal die
große Resolution faßte Mensch zu werden: Dabey wurde mir so, als ob alle Engel im
Himmel mir Friede zuriefen. Das war eine große Stunde, da ich zum erstenmal wieder
Herz kriegte, nach Jesu zu rufen und zu weinen; es war als ob jeder Blutstropf in mir weinte
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nach meinem Versöhner, nach meinem Erretter, der mich vor Gottes-Thron gerecht sprechen
und für sein erlöstes Kind erklären sollte. Das war wol ein unaussprechliches Seufzen, das der Heilige Geist selbst in mir that. Niemanden aber, auch nicht meinen nächsten Herzen die
um mich waren, ließ ich etwas mercken von dem, was in meinem Inwendigen vorging, außer der
seligen Jüngerin, der ichs schuldig zu seyn glaubte, ihr mein Herz darüber zu eröffnen. Meine Ge-
schäfte konnte ich ungehindert thun und fühlte mich bey der göttlichen Traurigkeit im tiefsten
Grunde schon selig.
Eines Tags, da ich so ganz aus war, und auch keine Krafft hatte zu weinen oder zu bitten und
an einem abgelegenen Ort mich auf die Erde hinwarf und laut schrie, wie ein kleines Kind nach seiner
Mutter, trat auf einmal eine Sabbathische Stille in meiner Seele ein, es wurde mir, als ob ich in Jesu
Blut untergetaucht und versenkt würde, ganz wie ich da war und alle meine Sinnen schloßen sich zu,
und damit brach der helle Tag an in meinem Herzen, wie die Sonne durch die Wolcken bricht;
es war Friede, Friede, unaussprechlicher Friede. Ich fühlte mich just wie ein neu gebornes Kindlein,
das von seinen Elltern nach überstandnem Schmerz zärtlich ans Herz gedrückt und geküßt getränckt und
gespeist und eingewiegt wird. O ihr himmlischen Momente, alle menschliche Vergleiche reichen nicht an Euch!
Es war mir wirklich so, als ob alle Blutströpflein in meinen Adern und alle Thränen, die häufig von
meinen Wangen floßen, ausriefen: ich bin versöhnt! Das alles ging in der größten
Verborgenheit bey mir zu, und ich war sehr darauf bedacht zu der Zeit aller Menschen Augen zu entweichen,
damit niemand was außerordentliches an mir mercken möchte, denn ich kam mir selbst auf alle Art wie
eine andre Kreatur vor, die sich vor lauter Scham und Beugung zu verkriechen suchte, wie ein Würmgen
in die Erde. Das war ein wahrhafftiger Eingang ins Himmelreich, zu der ewigen Gnade meines
Herrn Jesu Christi, zu der zärtlichsten Liebe meines himmlischen Vaters, und zu der innigsten Gemeinschaft
mit dem Heiligen Geiste, zu dem Geheimniß des Brunnquells der bis ins ewige Leben fließt, zu dem Re-
bensaft, der endlich den ganzen Gottes Menschen nach Leib und Seel durchdringt.
So gewohnte ich nach und nach in diese neue Art selig zu seyn, und der liebe Heilige Geist war früh und spät mit
mir beschäftiget, wie eine zärtliche Mutter mit ihrem Kinde thut, mich zu erinnern, zu warnen, zu trö-
sten und absonderlich mir recht tief einzuprägen, daß all mein Wohlseyn und Glück, ein sauer erworbnes
Gut sey, mit dem Blute Jesu Christi verdient und wie man seinen Schaz in irrdenen, ja in sündigen Gefä-
ßen bewahren müße; ja alle Gottes Wahrheiten wurden mir so frisch und lebendig, wie aus der ersten
Hand beygebracht und erklärt, daß ichs nicht genug beschreiben kan. Absonderlich wurde unser himmlischer
Vater, mein und meines liebsten Jesu sein Abba, mit unaussprechlicher Zärtlichkeit gefühlt und angebetet
von dem versöhnten Kinde. Mein lieber Heiland offenbarte sich meiner Seelen nach Graden
(und einer jeden neuen Offenbarung, ging immer eine neue Herzzerschmelzung, Elendsgefühle und weinen nach seiner Seele voran) von Jahr zu Jahr auf seiner Seite immer gnädiger, zärtlicher und herunterlastender, und von meiner
Seite immer ärmer und bettelhaftiger. Weiter zu gehen in meiner Erzehlung halte ich nicht für
nöthig und nüzlich. Sein Leiden, auch sein Leiden, sein Bluten und sein Sterben, und daß ich armes Würmlein erlößt

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