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sie fragte mich: ob ich nicht mit gehen wolte? Ich sagte
nein! Das mal noch nicht, weil ich mich noch nicht
würdig genug fülte das Abendmahl zu geniessen. Denselben
Tag besuchte mich Bruder George Wallis, riß mir alle meine
eigene Gerechtigkeit nieder und declarirte mir, daß ich
als ein Gottloser müße Barmherzigkeit suchen und daß
einer der Galgen und Tod verdient hätte, eher Gnade
kriegen könne als ich! mit meiner Frömmigkeit. Das machte mich sehr confus,
da meine fromme Meisterin nach Hause kam und von
meiner Confusion hörte, sagte sie: Ich hätte mit den
Schweinen träber gefreßen, ich müßte die Herrnhuther meiden
oder ihr Haus verlassen. Da sie wieder zum Abendmahl nach
Dierbach ging, ging ich mit dahin, ich lies mich beym
Pfarrer Lucius melden, daß ich gern mit zum Abendmahl gehen
wolle, er lies mir sagen: Ich soll nur in seine Predigt gehn
und werde was er sagen werde und wenn er mir denn so sey, so
könne ich mit zum Abendmahl gehn. Er predigte von dem
Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit und lud alle
hungrigen, zu der Mahlzeit ein, da zu essen und zu trinken
und so fröhlich zu werden, wie es bey die weltlichen Hochgemuts
größen gewöhnlich mit zur Art wäre. Da mich Pfarrer Lucius sah, fragte er:
was ich für ein Landsmann sey, ich sagte ein Sachse! Dann: Ja,
sagte er Dr Luther ist mein Bruder, ich habe oft mit
ihm im geiste gegessen und getrunken. Da es mein
Bruder hörte, daß ich zum reformirten Abendmahl gegangen
war er sehr unzufrieden, sagte: ich thäte meine Eltern
damit verdammen und meinen Glauben verleugnen, ich kam
darüber sehr in Noth und war sehr unruhig, in der
grösten Verlegenheit, träumte mir daß ich beym Pfarrer
Lucius
wäre und daß er mir auf lutherische Weise das
Brod mit den Worten gäbe: Nehmet hin und esset das ist
der wahre Leib unsers Herrn Jesu Christi, für eure
Sünden in den Tod gegeben und da war ich gleich alles bedenkens
auf einmal los und wuste das es nicht auf die äußerliche Ceremonie ankomme: Der Meister in Basel bey dem ich nicht hatte
bleiben können, schrieb mir nach Bern und bat ich möchte wieder zu ihm
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zu kommen, ich that es endlich, sagte ihm aber gleich
daß ich mir Freyheit ausbiete, in die Lindemeyerische
Versammlungen
zu gehen! und er gab mir alle Freyheit und offerirte mir den Haus Schlüßel
die Brüder, Richter der Goldschmidt, Knoll und Leistel
besuchten mich oft in dem Hause. Ich gieng alle Tage
zu einer gewissen Stunde alleine und legte mich als einen
Sünder dem Heiland zu füßen und weinte Ihm mein
Elend vor und Er trat mir einmal so recht lebendig
vor mein Herze, wie Er sich für meine Noth
zu Tode geblutet. Mein sonst sehr böser Meister,
machte es sehr hübsch mit mir. Da er einmal Holz
aussuchen gieng, rührte ihn der Schlag, da er wieder zu
sich kam, fragte er: mich Christian was denkt ihr: wo wäre ich hin kommen was ich dachte, daß es mit ihm
worden wäre, wenn er in der Stunde gestorben, ich sagte
ihm er wäre verloren gegangen und da er seine Ehr-
lichkeit und andere Tugenden vorbrachte, sagte ich ihm:
mein lieber Meister! ich bin schon viele Jahre ein
frommer Mensch und habe mich alles guten befleißiget,
ich würde aber dem ungeachtet schlecht fahren, wenn
ich mich nicht auf das Verdienst und Blut Jesu verlassen
könnte! und nannte ihm einige seiner Sünden. Er lies
mich bald wieder zu sich ruffen und jammerte so über
seine Sünden und verlorenen Zustand, daß ich mit ihm
weinen mußte, ich gieng alleine und bat den Heiland
mir das zu geben was ich dem armen Mann zu sagen
hätte und Er stärkte mich sehr, ihn zu trösten
Von Basel reiste ich mit etlichen andern ledigen Brüdern
nach Herrnhaag wo ich den 10ten May 1746 ankam, ich dachte da nur zu besuchen, dann nach
Hause zu reisen und ein frommer Bürger zu werden.
Da wir von dem Aufseher Collegio gesprochen wurden
wurde ich gefragt: Warum ich nach Herrnhaag gekommen?
ich sagte es ehrlich, daß es nicht mein Sinn da zu bleiben.
man sagte mir dann: daß ich also je eh je lieber
wieder gehen soll! Da ich aus der Stube gieng, sagte
mir mein Herze: was hast du gethan, daß du so gesagt,
du kanst nicht mehr von der Gemeine weg, du must

Register.